Hereditäre Myasthenie
Synonyme: kongenitale Myasthenie, Erb-Goldflam-Krankheit, Hoppe-Goldflam-Syndrom, Myasthenia gravis pseudoparalytica, Myasthenie
Definition
Hereditäre Myasthenie
Die hereditäre Myaysthenie ist eine heterogene Gruppe seltener hereditärer Erkrankungen bei denen es zur Störung der neuromuskulären Erregungsübertragung kommt, was zu einer abnormen Muskelschwäche und schneller Ermüdbarkeit der Muskulatur führt.
Hereditäre Myasthenie
Ätiologie
Hereditäre Myasthenie
Die Ursachen der hereditären Myaysthenie sind:
Pathogenese:
- präsynaptische Defekte: gestörte Acetylcholinsynthese oder - freisetzung
- synaptische Defekte: Endplatten-Cholinesterasedefizienz
- postsynaptische Defekte: gestörte Öffnungskinetik der Ionenkanäle des Acetylcholinrezeptors, verminderte Rezeptordichte
Bei der Entstehung hereditären Myasthenie spielen Autoimmunprozesse, im Gegensatz zu anderen Myasthenien, keine Rolle!
Hereditäre Myasthenie Epidemiologie zu:
Hereditäre Myasthenie
Epidemiologie
Hereditäre Myasthenie
Zur hereditären Myasthenie liegen kaum gesicherte epidemiologische Daten vor:
- Erstmanifestation meist vor dem 3. Lebensjahr, sehr selten erst im Erwachsenenalter
Myasthenie allgemein:
- Prävalenz: 50/100.000. Ca. 8.000 Patienten in Deutschland
- Inzidenz: 0,25-2/100.000 pro Jahr
- 10% aller Betroffenen < 16 Jahre
- Erkrankungsgipfel: 20.-40. Lebensjahr und 60.-70. Lebensjahr
- bei Kindern v.a. nach dem 2. Lebensjahr und in der Pubertät
- selten kongenitale Formen im Kindesalter
- F:M = 3:2
- Ca. 20 - 30% der Myastheniepatienten entwicklen nach mehrjährigem Verlauf bleibende Defekte
- Ca. 10% aller Betroffenen entwickeln im fortgeschrittenen Krankheitsstadium eine myasthene Krise
Hereditäre Myasthenie Differentialdiagnosen zu:
Hereditäre Myasthenie
Differentialdiagnosen
Hereditäre Myasthenie
- Okuläre Myositis
- Progressive Muskeldystrophien
- Myotone Dystrophie
- Polyneuropathie bei Botulismus
- Miller-Fisher-Syndrom
- Kongenitale Muskeldystrophie
- Polymyositis und Dermatomyositis
- Neugeborenen-Myasthenie
- Medikamentös ausgelöste oder verstärkte Myasthenie
- Okuläre Myasthenie
- Generalisierte Myasthenie
Hereditäre Myasthenie Anamnese zu:
Hereditäre Myasthenie
Anamnese
Hereditäre Myasthenie
Bei der hereditären Myaysthenie sind folgende Informationen von Bedeutung:
In der Regel Fremdanamnese durch Eltern entscheidend:
- Schwäche der Gesichtsmuskulatur?
- Trink-/Schluckstörungen?
- Augenbewegungsstörungen/Sehstörungen?
- Herabhängende Oberlider?
- Bewegungsarmut?
- verzögertes/ausbleibendes Gehenlernen?
- bekannte Herzschwäche?
- Medikamenteneinnahme?
- Schwangerschaftsverlauf?
- weitere Betroffene in der Familie?
- Verschlechterung bei Infekten, Stress, Nahrungsmittel oder durch Umwelteinflüsse?
Hereditäre Myasthenie Diagnostik zu:
Hereditäre Myasthenie
Diagnostik
Hereditäre Myasthenie
Zur diagnostischen Abklärung der hereditären Myaysthenie sind relevant:
- Neurologische Untersuchung: Simpson-Test (zunehmende Ptosis bei Blick nach oben), Vorhalteversuch der Beine und Arme, Kraftprüfung, Reflexe
- Fatigue and Recovery-Test: Augen für 20 Sek. fest zusammenkneifen -> kurzfristige Besserung der Ptosis
- Tensilon-Test: i.v.-Injektion von 10 mg Edrophoniumchlorid (ACh-Esterasehemmer; Cave: Atropin bereitlegen!) → Ptosis und Doppelbilder innerhalb 5 Min. rückläufig
- Elektrophysiologie: repetitive EMG-Stimulation des N. accessorius oder N. facialis mit typischem Dekrement (=Abnahme der Amplitude)
- Labor: Antikörpernachweis (Anti-ACh-Ak, Auto-AK gegen Skelettmuskulatur, Anti-Titin-Ak bei malignem Thymom, Ak gegen muskelspezifische Tyrosinkinase=MuSK)
- Bildgebende Verfahren: Thorax-MRT/CT zum Nachweis einer mediastinalen Raumforderung (Thymushyperplasie), Bei Kindern evtl. transthorakale Sonographie
- Lungenfunktionstest: Kontrolle der Vitalkapazität
- evtl. humangenetische Beratung und Testung
Hereditäre Myasthenie Klinik zu:
Hereditäre Myasthenie
Klinik
Hereditäre Myasthenie
Die hereditäre Myaysthenie kann eine oder mehrere der folgenden Symptome zeigen:
- Ptosis
- Opthalmoplegie mit Doppelbildern
- Schwäche der Gesichtsmuskulatur
- Schluck-/Saugschwäche
- kongenitale Hypotonie mit Ateminsuffizienz
- selten proximal betonte Paresen
- selten Kardiomyopathie
- selten Katarakt
- im Tagesverlauf zunehmende, asymmetrische Muskelschwäche
- Besserung in Ruhe
- untere Extremität zunächst stärker betroffen
- bulbäre Symptomatik: Dysphagie, Aspiration, Dysarthrie
- örtliche und zeitliche Fluktuation der Beschwerden
- Verschlechterung durch Infekte, Stress, hormonelle Veränderungen oder Umwelteinflüsse (z.B. Licht, starke Düfte) möglich
- Cave: Dyspnoe bei Beteiligung der Atemmuskulatur (→ myasthene Krise)
Myasthene Krise:
- Plötzliche Verschlechterung der bekannten Symptomatik
- starke Muskelschwäche (Pat. häufig unfähig den Oberkörper aufzurichten)
- Dyspnoe/Orthopnoe
- Aspirationsgefahr
- Speichelfluss
- Schwitzen
- Herzrasen/Rhythmusstörungen
- Anarthrie
Hereditäre Myasthenie Therapie zu:
Hereditäre Myasthenie
Therapie
Hereditäre Myasthenie
Die therapeutischen Möglichkeiten bei der hereditären Myaysthenie umfassen folgendes:
Konservative Therapie:
- Glukokortikoide (langsam eindosieren): Prednisolon 0,5-1,5 mg/kg KG (in schweren Fällen Puls-Therapie mit 500-1000 mg/d für max. 3 Tage).Bei Neugeborenen: initial Verschlechterung der Symptome möglich
- Immunsuppressiva: Azathioprin 2-3 mg/kgKG, Cyclophosphamid (2 mg/kg KG), Ciclosporin A (2-5 mg/kg KG), Methotrexat (7,5-15 mg einmal pro Woche)
- Cholinesterasehemmer (wichtigste symptomatische Therapiemaßnahme): Pyridostigmin 30-60 mg/d p.o. (Maximaldosis 360 mg/d), Ambenonium-Chlorid (5-10 mg/d, Maximaldosis 40 mg/d)
- transiente neonatale Form: Pyridostigmin
- evtl. genetische Beratung und Testung bei kongenitalen Formen
Operative Therapie:
- Thymektomie über mediane Sternotomie mit sorgfältiger Exploration des Mediastinums auf ektopes Thymusgewebe (in 40%!)
- bei Thymomen < 2 cm evtl. thorakoskopisch
- Indikationen: v.a. Patienten < 40.Lj. bei nachgewiesener Hyperplasie oder mit generalisierter Myasthenie, bei Thymus-Ca immer
- keine Indikation bei Patienten mit MuSK-AK
Prophylaxe:
- Stress, fieberhafte Infekte vermeiden
- Kontrolle der Vitalkapazität
- Vermeidung Myasthenie-verstärkender Medikamente (siehe Zusatzhinweise)
Myasthene Krise:
- Pyridostigmin 1-3 mg i.v. als Bolus und 0,5-1 mg über Perfusor (Cave: starke Bronchialsekretion)
- Bei starken cholinergen Symptomen: Atropin 0,25-0,5 mg s.c. 3-6 Dosen/d
- Bei Vorliegen einer Infektion evtl. Antibiose
- evtl. Plasmapherese, Immunadsorption, Immunglobuline
- Intubation, Beatmung und Überwachung auf Stroke-Unit oder Intensivstation
Hereditäre Myasthenie Komplikationen zu:
Hereditäre Myasthenie
Komplikationen
Hereditäre Myasthenie
Bei der hereditären Myaysthenie kommen folgende Komplikationen vor:
- Arbeitsunfähigkeit
- Sozialer Rückzug
- Pflegebedürftigkeit
- Verstärkung der Symptome durch Infektionen, psychischen Stress, Umwelteinflüsse
- Tod durch Atemlähmung
Hereditäre Myasthenie Zusatzhinweise zu:
Hereditäre Myasthenie
Zusatzhinweise
Hereditäre Myasthenie
Wichtige Zusatzinformationen zu der hereditären Myasthenie:
- Myasthenie und Schwangerschaft: Verstärkung der Symptome während der ersten 3 Monate, Geburt i.d.R. normal, Besserung nach der Schwangerschaft
- Verschlechtereung der Symptomatik durch diverse Medikamente möglich! (Muskelrelaxantien, Magnesium, Antibiotika, Calcium-Antagonisten...)
Prognose:
- langsame Progredienz: Letalität bei 10-20%
- rein okuläre Form: ohne Minderung der Lebenserwartung
Hereditäre Myasthenie Literaturquellen zu:
Hereditäre Myasthenie
Literaturquellen
Hereditäre Myasthenie
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- (2008) Grehl H, Reinhardt F - Checkliste Neurologie - Thieme
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- (2007) Gleixner C, Müller M, Wirth S - Neurologie und Psychiatrie - Medizinische Verlags- und Informationsdienste
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- (2007) Kloeters O, Müller M - Crashkurs Chirurgie - Urban & Fischer, Elsevier
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- (2008) Grehl H, Reinhardt F - Checkliste Neurologie - Thieme
- (2006) Poeck K, Hacke W - Neurologie - Springer
- (2007) Sitzmann FC - Duale Reihe Pädiatrie - Thieme
- (2008) Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurologie - Myathenia gravis: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-087_S1_Myasthenia_gravis_10-2008_10-2013.pdf >
Hereditäre Myasthenie
Assoziierte Krankheitsbilder zu Hereditäre Myasthenie
- Generalisierte Myasthenie
- Kongenitale Muskeldystrophie
- Medikamentös ausgelöste oder verstärkte Myasthenie
- Miller-Fisher-Syndrom
- Okuläre Myasthenie
- Progressive Muskeldystrophien
- Lambert-Eaton myasthenes Syndrom
- Myotone Dystrophie
- Neugeborenen-Myasthenie
- Okuläre Myositis
- Polymyositis und Dermatomyositis
- Polyneuropathie bei Botulismus
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