Hepatoportale Enzephalopathie
Synonyme: hepatische Enzephalopathie, stoffwechselbedingte Störungen des Nervensystems, Leberzirrhose
Definition
Hepatoportale Enzephalopathie
Die hepatische Enzephalopathie (syn.: portosystemische Enzephalopathie) ist eine Funktionsstörung des Zentralnervensystems und eine relativ häufige, potentiell reversible Komplikation der Leberzirrhose, die durch eine Retention neurotoxischer Substanzen im Blut aufgrund der Leberinsuffizienz verursacht wird.
Hepatoportale Enzephalopathie
Ätiologie
Hepatoportale Enzephalopathie
Eine hepatische Enzephalopathie kann grundsätzlich auf drei Wegen entstehen:
- bei akutem Leberversagen
- bei portosystemischem Shunt unabhängig von einer Lebererkrankung
- bei Leberzirrhose
Bei der Leberzirrhose steht die chronisch verminderte Entgiftungsleistung der Leber im Vordergrund, was zu einem chronischen Verlauf der Enzephalopathie führt, begleitet von episodenhaften Dekompensationen.
Auslöser solcher Dekompensationen können sein:
- gastrointestinale Blutungen
→ Eiweißreiches Blut wird von Darmbakterien abgebaut → Aminosäuren gelangen als Quelle des Ammoniak über den Darm zur Leber - eiweißreiche Ernährung
- Elektrolytstörungen (z.B. Hyponatriämie)
- Medikamente (z.B. Diuretika und Sedativa)
- großvolumige Aszitespunktion
- Infektionen
- Obstipation
- Minderperfusion der Leber bei Schock
- Operationen
- Diarrhö
- Erbrechen
Hepatoportale Enzephalopathie Epidemiologie zu:
Hepatoportale Enzephalopathie
Epidemiologie
Hepatoportale Enzephalopathie
Zum Vorkommen der hepatischen Enzephalopathie:
Sofern man diskrete neurologische Manifestationen mit einschließt, sind 30-70% der Patienten mit einer Leberzirrhose von einer hepatischen Enzephalopathie betroffen.
Hepatoportale Enzephalopathie Differentialdiagnosen zu:
Hepatoportale Enzephalopathie
Differentialdiagnosen
Hepatoportale Enzephalopathie
- Chronisches Subduralhämatom
- Akutes und subakutes subdurales Hämatom
- Hypoglykämie und hypoglykämischer Schock
- Leberzirrhose
- Mikronoduläre Leberzirrhose
- Wernicke-Enzephalopathie
- Intoxikationspsychose
- Frühsommer-Meningoenzephalitis
- Hypoglykämie
Hepatoportale Enzephalopathie Anamnese zu:
Hepatoportale Enzephalopathie
Anamnese
Hepatoportale Enzephalopathie
Folgende Informationen sind bei einer hepatischen Enzephalopathie von Bedeutung:
- bekannte Lebererkrankung?
- Konzentrationsschwäche?
- Schlafstörungen? Schläfrigkeit? Umkehrung des Schlafrhythmus?
- Sprachstörungen?
- Medikamenteneinnahme? Alkohol?
Hepatoportale Enzephalopathie Diagnostik zu:
Hepatoportale Enzephalopathie
Diagnostik
Hepatoportale Enzephalopathie
Die Diagnose der hepatischen Enzephalopathie stützt scih auf die neuropsychiatrische Begutachtung und die Zeichen einer Leberinsuffizienz.
- Nachzeichnung einfacher Diagramme (z.B. Haus mit Dach) gelingt nicht mehr → konstruktive Apraxie
- grobschlägiges Zittern der Hände → Flapping Tremor (Asterixis)
- Störung der Tag-Nacht-Rhythmik
Flimmerfrequenzanalyse:
kritische Flimmerfrequenz (CFF) vermindert.
Bei rascher Entwicklung der hepatischen Enzephalopathie (im Rahmen eines akuten Leberversagens) kann ein manifestes Hirnödem in Zusammenhang mit Koma und Zeichen erhöhten Hirndrucks im Vordergrund stehen
Symptome hierbei sind:
- Kopfschmerzen
- Hypertonie
- Erbrechen
- Augenmuskellähmungen
- Mydriasis (ohne Lichtreflex)
Labortechnische Untersuchung:
- Erhöhung des Ammoniakspiegels i.S.
→ Serumammoniak > 100μg/ml bei > 90% aller Pat. - Bilirubin i.S. ↑
weitere Labordiagnostik je nach Grunderkrankung und begleitender Komplikation:
- GI-Blutung: Blutbild, Gerinnungsstatus
- Oligo-,Anurie: Elektrolyte, Kreatinin
- Koma/Schock: BZ, BGA, Lactat
Hepatoportale Enzephalopathie Klinik zu:
Hepatoportale Enzephalopathie
Klinik
Hepatoportale Enzephalopathie
Einteilung der hepatischen Enzephalopathie nach klinischem Schweregrad:
Stadium 0
- asymptomatische HE
- nur durch pathologische psychometrische Tests erfassbar
Stadium I
- Beginnende Schläfrigkeit
- Verwirrung
- Konzentrationsschwäche, Gedächtnisstörungen
- Verlangsamung
- Stimmungsschwankungen
- "Flapping tremor" (Asterixis)
- verwaschene Sprache, Sprachstörungen
- Schlafstörungen, Umkehr des Schlafrhythmus
Stadium II
- Zunehmende Schläfrigkeit
- Pathologische Schriftprobe
- EEG-Veränderungen
- Apathie
- Lethargie
- Desorientiertheit
- Benommenheit
Stadium III
- Patient ist fast immer schlafend anzutreffen
- weckbar
- Korneal- und Sehnenreflexe sind erhalten
- Foetor hepaticus
- "Flapping tremor" noch vorhanden
- EEG-Veränderungen
Stadium IV
- Leberausfallkoma
- tiefer Schlaf
- Pat. reagiert noch auf Schmerzreize
→ (Stadium IV a) - Pat. reagiert nicht mehr auf Schmerzreize
→ (Stadium IV b)
Hepatoportale Enzephalopathie Therapie zu:
Hepatoportale Enzephalopathie
Therapie
Hepatoportale Enzephalopathie
Die Therapie der hepatischen Enzephalopathie sieht wie folgt aus:
- Kausale Behandlung der Leberzirrhose
- Beseitigung auslösender Faktoren:
- Erkennung und Beseitigung von GI-Blutungen und Infektionen (z.B. SBP)
- Absetzen von Diuretika, Sedativa und Tranquilizern
- Ausgleichen eines Kaliummangels
- Korrektur eines Zinkmangels
- Eine metabolische Alkalose sorgt für angekurbelten Harnstoffzyklus → wird belassen
- Die metabolische Azidose muss ausgeglichen werden
- Darmreinigung (wichtigstes Therapieprinzip):
- wesentliche Quelle toxischer Metabolite sind Nahrungseiweiß oder Eiweiß aus gastrointestinalem Blut
- Einsatz von Laxantien, in der Praxis meist Lactulose (Akuttherapie 30-60g/Tag peroral, über Magensonde bzw. rektal)
- Dosierung dauerhaft so, dass der Patient 2-3 weiche Stühle pro Tag hat
- Darmsterilisation:
- orale Gabe nichtresorbierbarer Antibiotika (Neomycin, Paromycin, Vancomycin) zur Reduktion der proteolytischen Aktivität im Darm
- nur kurzfristige Gabe über wenige Tage, da mit 2-3% Resorbtion sowie entsprechenden toxischen Nebenwirkungen über längeren Zeitraum zu rechnen ist
- Eiweißrestriktion + Zufuhr verzweigtkettiger Aminosäuren:
- Reduktion des Nahrungseiweiß auf 1g/kg KG
- Bei schweren Verläufen ist es ratsam eine Restriktion von 20-30g Gesamteiweiß/d für 3 Tage anzustreben
- Die orale Zufuhr verzweigtkettiger Aminosäuren hemmt den Proteinabbau und fördert eine pos. Stickstoffbilanz
- L-Ornithin-L-Aspartat (LOLA):
- 20g/d i.v. als Akuttherapie (10-40g)
- Als Dauertherapie bei Therapieresistenz zusätzlich zur übrigen Medikation LOLA 3x6g/d p.o.
- Ornithin fördert den Ammoniak-Abbau als Substrat über den Harnstoffzyklus
- Aspartat verbessert den Ammoniak-Abbau, indem es Substrat für die Glutamin-Synthese bereit stellt
- Die intravenöse Gabe beider Substanzen senkt den Ammoniak-Spiegel des Pat. und kann zu einer Besserung der hep. Enzephalopathie führen
- Die Wirksamkeit von LOLA bei HE Grad 0-2 ist anhand von Doppelblindstudien belegt
- Vitamine und Spurenelemente:
- Da viele Pat. mit einer Leberzirrhose einen Zinkmangel haben → Zinksubstitution
- Substitution von Vitaminen, insbesondere Thiamin (Vitamin B1)
- Lebertransplantation:
- Bei Fehlschlagen der vorangegangenen Therapieoptionen als Ultima Ratio bei geeigneten Patienten
Hepatoportale Enzephalopathie Komplikationen zu:
Hepatoportale Enzephalopathie
Komplikationen
Hepatoportale Enzephalopathie
Eine Verschlechterung der hepatischen Enzephalopathie mit drohendem Leberkoma wird durch folgende Faktoren provoziert:
- Vermehrte Ammoniakbildung im Darm
- durch GI-Blutungen (1000ml = 200g Eiweiß)
- nach eiweißreichem Essen u./o. Obstipation
- Verstärkte Diffusion von freiem Ammoniak ins ZNS bei Alkalose
- Vermehrter Eiweißabbau bei fieberhaften Infektionen
- Iatrogen: Behandlung mit Benzodiazepinen, Sedativa, Analgetika, zu starke Therapie mit Diuretika → Hypovolämie und Elektrolytstörungen
Hepatoportale Enzephalopathie Zusatzhinweise zu:
Hepatoportale Enzephalopathie
Zusatzhinweise
Hepatoportale Enzephalopathie
Ab Stadium III der hepatischen Enzephalopathie ist eine intensivmedizinische Überwachung indiziert.
Therapieoption Lebertransplantation (LTX)
→ bei terminaler Leberinsuffizienz unter Berücksichtigung der Transplantationsgesetze
Die Wartezeit richtet sich nach dem MELD-Score (model for end-stage liver disease)
Berücksichtigt werden hierbei das Serumkreatinin, Gesamtbilirubin und die Gerinnung mittels INR.
Der Meldscore errechnet sich folgendermaßen:
10 {0.957 Ln(Serumkreatinin) + 0.378 Ln(Bilirubin ges.) + 1.12 Ln(INR) + 0.643}
- Sofern eine Dialyse binnen der letzten 7 Tage durchgeführt wurde, ist das Serumkreatinin = 4 zu setzen
- Der MELD-Score liegt zwischen 6 und 40 Punkten
- Ein höherer Wert spricht für eine höhere Wahrscheinlichkeit binnen 3 Monaten ohne Transplantation zu versterben
Nach der Lebertransplantation ist eine Immunsuppression mit geeigneten Mitteln durchzuführen. Hierzu eignen sich Ciclosporin A, MMF, Tacrolimus u.a.
- Die 30-Tage Hospitalletalität beträgt etwa 15%
- Die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit ca. 80%
- Der Spender hat bei linkslateraler Leberspende ein Risiko von 0,1% im Krankenhaus zu versterben, bei Spende des rechten Leberlappens bis zu 0,5%
Komplikationen einer Lebertransplantation:
- primäres Transplantatversagen
- Gefäß- oder Gallengangskomplikationen
- Nachblutungen
- Verschluss der Transplantatgefäße
- Leckage/Obstruktion des Gallengangs
Hepatoportale Enzephalopathie Literaturquellen zu:
Hepatoportale Enzephalopathie
Literaturquellen
Hepatoportale Enzephalopathie
- (2009) Classen - Innere Medizin - Elsevier Urban&Fischer, München
- (2008) Renz-Polster - Basislehrbuch Innere Medizin - Elsevier Urban & Fischer, München
- (2010) Gerd Herold - Innere Medizin, Köln
- (2009) Arasteh, Baenkler - Duale Reihe Innere Medizin - Georg Thieme Verlag, Stuttgart
- (2010) Baenkler, Goldschmidt - Kurzlehrbuch Innere Medizin - Georg Thieme Verlag, Stuttgart
- (2005) Hammer - Therapielexikon Gastroenterologie und Hepatologie - Springer Verlag, Berlin
- Poeck,Hacke, Neurologie, Springer Verlag
- Schauder,Ollenschläger, Ernährungsmedizin,Elsevier Urban& Fischer Verlag
- (2007) Berlit P - Basiswissen Neurologie - Springer
- (2007) Masuhr K.F.,Neumann M - Neurologie,6. Aufl. - Thieme Verlag, Duale Reihe
- (2007) Buchner H - Neurologische Leitsymptome und diagnostische Entscheidungen - Thieme
- (2007) Bitsch A - Neurologie "to go" - Wissenschaftliche Verlagsges
- (2006) Poeck, Hacke, - Neurologie - Springer, Berlin
- (2006) Mumenthaler M, Mattle H, - Kurzlehrbuch Neurologie - Thieme Verlag
Hepatoportale Enzephalopathie
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