Bulimia nervosa
Synonyme: Ess-Brech-Sucht, Bulimie, Ochsenhunger
Definition
Bulimia nervosa
Unter der Bulimia nervosa versteht man gehäuft auftretende Essattacken, denen - aus Angst dick zu werden - z.B. selbstinduiziertes Erbrechen, Laxantienabusus und Diäten folgen.
Bulimia nervosa
Ätiologie
Bulimia nervosa
Zu den Ursachen einer Bulimia nervosa zählen [13]:
Biologische Faktoren:
- Alter (Pubertät)
- Vulnerabilität des serotonergen Systems
Soziokulturelle Ursachen:
- Schönheitsideale
- Konsum-und Leistungsorientierung
Individuelle Faktoren:
- typische Persönlichkeitsmerkmale, Stressintoleranz
- gestörte Identitätsfindung, z.B. Abwehr einer weiblichen Rolle, Regression sexueller Triebimpulse
- Autoritäts-und Autonomiekonflikte, gestörtes Selbstwertgefühl
Genetische Faktoren:
- familiäre Disposition
Bulimia nervosa Epidemiologie zu:
Bulimia nervosa
Epidemiologie
Bulimia nervosa
Zur Epidemiologie der Bulimia nervosa liegen folgende Daten vor:
- Prävalenz in Deutschland: 300/100.000 Personen [13]
- Prävalenz in den USA: bis zu 1-1,5% bei Frauen [16]
- allein in den USA sind derzeit etwa 1-2 Mio. Frauen an Bulimia nervosa erkrankt [15]
- Häufigkeitsgipfel um das 18.-20. Lebensjahr [14]
- Geschlechterpräferenz: w:m = >10:1 - Männer erkranken zunehmend häufiger [13]
Bulimia nervosa Differentialdiagnosen zu:
Bulimia nervosa
Differentialdiagnosen
Bulimia nervosa
- Schizophrenie
- Diabetes mellitus
- Psychosen im Kindes- und Jugendalter
- Borderline-Persönlichkeitsstörung
- Missbrauch von Substanzen, die keine Abhängigkeit hervorrufen
- Psychogene Störungen
- Anpassungsstörungen mit Angst
- Anpassungsstörungen mit depressiver Stimmung
- Organische affektive Störungen
- Generalisierte Angststörung
- Osteoporose und Osteomalazie
- Maligne Tumoren des Dünndarms
- Störungen des Essverhaltens
- Ödeme
- Metabolische Alkalose
- Sinusbradykardie
- Chronische arterielle Hypotonie
- Medikamentös induzierte Diabetesformen
- Insuffizienz von Hypophysenvorderlappen und Hypothalamus
- Colitis ulcerosa
- Malassimilationssyndrom
- Gastrointestinale Gasbeschwerden
- Anorexia nervosa
- Hyperthyreosen
- HIV-Infektion und AIDS
- Enteritiden
- Gastrointestinale Infektionen
- Morbus Crohn
- Maligne Hirntumoren
- Zerebrale Entwicklungsstörungen
- Schizophrene Psychosen
- Depression
- Zwangsstörungen
- Sekundäre Amenorrhö
- Endokrine Störungen
- Nebennierenrindeninsuffizienz
- Hypothermie (Verzögertes Erwachen nach Operation)
- Flüssigkeitsstörungen und Elektrolytstörungen nach Operationen
- Karies
- Kachexie
Bulimia nervosa Anamnese zu:
Bulimia nervosa
Anamnese
Bulimia nervosa
Folgende Aspekte sind bei der Anamneseerhebung zur Bulimia nervosa zu beachten:
- Welche Beschwerden bestehen? Seit wann?
- Ggf. Grund der Einweisung?
- Alter?
- Aktuelles Gewicht und Größe?
- Zeitlicher Verlauf des Gewichtsverlustes?
- War der Gewichtsverlust gewollt?
- Bedeutung der Nahrungsaufnahme / Diätpläne etc.?
- Essverhalten? Wie oft? Wie viel? Essattacken?
- Selbst herbeigeführtes Erbrechen?
- depressive Verstimmungen?
- ausbleibende Monatsblutung?
- Potenzverlust?
- Haarausfall?
- Kälteempfindlichkeit? Niedriger Blutdruck?
- Verstopfung?
- Darmerkrankungen bekannt? Chronisch? Infektionen (Wurmerkrankungen, etc.)? Voroperiert?
- Sonstige Grunderkrankungen?
- Anorexia nervosa in der Vorgeschichte?
- Störungen der Impulskontrolle oder Persönlichkeitsstörungen bekannt?
- Einnahme von Abführmitteln oder Schilddrüsenmedikamenten?
- Einnahme anderer Medikamente?
- Stressbelastung?
- Wird Sport getrieben? Welcher? Wie oft?
- Ähnliche Fälle in der Familie?
- Soziale Kontakte? Freunde? Familie?
Bulimia nervosa Diagnostik zu:
Bulimia nervosa
Diagnostik
Bulimia nervosa
Zur diagnostischen Abklärung der Bulimia nervosa sind relevant [14]:
- Anamnese
- körperliche Untersuchung:
- (Pädiatrisch-) internistische Untersuchung:
- Körperlänge und -gewicht messen, BMI bestimmen
- Körpertemperatur messen
- allgemeine Inspektion: geistige und körperliche Entwicklung?
- Inspektion der Haut: trocken, schuppig, Lanugobehaarung, Haarausfall
- Schilddrüse inspizieren, auskultieren, palpieren
- Inspektion, Auskultation, Palpation, Perkussion des Thorax
- Inspektion, Auskultation, Palpation, Perkussion des Abdomens
- Labor: Diff-BB (Anämie, Neutropenie, Thrombozytopenie?), Hkt (erhöht?), Elektrolyte, GOT, GPT, Amylase, Lipase (erhöht?), Kreatinin, Harnstoff, Blutzucker, HDL, LDL, Gesamt-Cholesterin, Albumin, TSH
- EKG
- psychologische Untersuchung:
- strukturiertes Interview
- allgemeine Tests: Persönlichkeitstests, Leistungstests
- Fragebögen
Beachte: es sollten stets somatische und psychiatrische Erkrankungen, die mit einem Gewichtsverlust einhergehen können, in die Differentialdiagnostik einbezogen werden!
Bulimia nervosa Klinik zu:
Bulimia nervosa
Klinik
Bulimia nervosa
Die Bulimia nervosa kann folgende Symptome zeigen [14]:
- Störung des Körperschemas: Körper wird als zu dick empfunden, dabei Überbewertung von Figur und Gewicht
- ständige Beschäftigung mit dem Thema Essen
- rezidivierende Heißhungeranfälle und Essattacken
- durchschnittlich mind. 2 Essattacken pro Woche über mind. 3 Monate
- große Essensmengen werden in Kürze hinuntergeschlungen
- verschiedene Maßnahmen zur Gewichtskontrolle nach den Heißhungerattacken (am häufigsten selbstinduziertes Erbrechen)
- Maßnahmen: Einnahme von Laxantien, Diuretika, Appetitzüglern, Schilddrüsenhormonen
- Verstärkung der körperlichen Aktivität
- häufig beinahe normales Körpergewicht, aber trotzdem Folgen der Mangelernährung
- typische Begleiterscheinung: Karies
- charakteristisch ist ein ausgeprägter Leistungsdruck
- Depressive Symptome, Amenorrhoe, Obstipation, Haarausfall, Hypothermie, Blutbildveränderungen (Anämie), Hypoglykämie, Hypotonie, Bradykardie, Osteoporose, Elektrolytverschiebungen und EKG-Veränderungen möglich
Bulimia nervosa Therapie zu:
Bulimia nervosa
Therapie
Bulimia nervosa
Die therapeutischen Möglichkeiten umfassen bei der Bulimia nervosa:
Stationäre Behandlung in der Akutphase [14]:
- bei potentieller Lebensbedrohung
- Beispiele: Suizidgefahr, schwere Selbstverletzungen, Substanzmissbrauch, Komorbidität mit anderen psychiatrischen Erkrankungen (z.B. Borderline-Persönlichkeitsstörung), Eintreten schwerwiegender Organkomplikationen
- psychosoziale Kriterien, z.B.: festgefahrene familiäre Interaktion, Dekompensation der Eltern, V.a. Misshandlung oder Missbrauch, soziale Isolation, Scheitern nicht-stationärer Behandlungsversuche
Ansonsten ambulante oder tagesklinische Therapie [14]:
- Therapie der körperlichen Folgen in der Akutphase, z.B. Kalorienzufuhr (tgl. 5-6 ausgewogene Mahlzeiten)
- Aufstellen eines ausgewogenen Ernährungsplans
- Führen eines Ernährungstagebuchs
- Ernährungsberatung
- Hilfestellung beim Essen, gemeinsames Essen
- Erstellen eines Bewegungsplans
- Verhaltenstherapie
- Familientherapie
- soziotherapeutische Maßnahmen
Psychotherapie [14]:
- kognitive Therapie: Körperschema und Selbstwertgefühl neu definieren, die Ernährungstherapie sollte integraler Bestandteil der kognitiv-behavioralen Therapie sein
- interpersonale Therapie: Verbesserung der Beziehungsfähigkeit
Medikamentöse Therapie [14]:
- Psychopharmaka: insgesamt geringere Bedeutung, indiziert bei starker depressiver Verstimmung sowie in der akuten Phase bis ein ausreichendes Körpergewicht erreicht ist
- Neuroleptika (z.B. bei Unruhezuständen): z.B. Prothipendyl: oral 2-4x 40-80mg
- Antidepressiva (bei Depression nach Gewichtszunahme), z.B. Fluoxetin: oral 1x 20mg
Beachte: Die Therapie bei der Bulimia nervosa erfolgt auf interdisziplinärer Ebene! [14]
Die alleinige medikamentöse Therapie ist nicht wirksam! [14]
Bulimia nervosa Komplikationen zu:
Bulimia nervosa
Komplikationen
Bulimia nervosa
Bei der Bulimia nervosa können folgende Komplikationen vorkommen [17]:
- chronischer Verlauf in 20% der Fälle
- Risiko der Suizidalität ist bei der Bulimia nervosa deutlich erhöht
Organische Komplikationen [13]:
- Bradykardie
- Herzinsuffizienz
- Hypotonie
- Hypothermie
- gestörte Magenentleerung
- Amenorrhoe
- Osteoporose
- Pseudohirnatrophie
- Knochenmarkshypoplasie
- Potenzstörungen
- Entwicklungs- und Wachstumsverzögerungen
Bulimia nervosa Zusatzhinweise zu:
Bulimia nervosa
Zusatzhinweise
Bulimia nervosa
Zur Bulimia nervosa liegen folgende Zusatzhinweise vor:
Unterformen der Bulimia nervosa [14]:
- Bulimia nervosa mit Anorexia nervosa in der Vorgeschichte
- Bulimia nervosa ohne Anorexia nervosa in der Vorgeschichte
- Bulimia nervosa ohne zusätzliche Gewichtsreduktionsmethoden: Gegenregulation erfolgt ausschließlich durch verminderte Nahrungszufuhr und/oder körperliche Aktivität
- Bulimia nervosa mit zusätzlichen Gewichtsreduktionsmethoden: Gegenregulation erfolgt (auch) durch selbstinduziertes Erbrechen, Laxantienabusus und/oder Medikamentenmissbrauch
- Atypische Bulimia nervosa: ein oder mehrere Kernmerkmale der Bulimia nervosa können fehlen
Beachte:
- Der Schweregrad der Bulimia nervosa nimmt mit der Anzahl der Essattacken zu. [14]
- Die Mehrzahl der bulimischen Patientinnen ist normalgewichtig [14]
- Dennoch haben manche ein geringeres Gewicht, als es möglicherweise ihrem individuellen biologischen Set point entspricht. Umstritten ist, ob diese Patientinnen eine Gewichtszunahme in Kauf nehmen müssen, um ihr physiologisches (z.B. regelmäßige Menstruation) oder emotionales Gleichgewicht (z.B. Rückgang depressiver Symptome) zu erreichen! [14]
Bulimia nervosa Literaturquellen zu:
Bulimia nervosa
Literaturquellen
Bulimia nervosa
- (2009) Speer CP, Gahr M - Pädiatrie - Springer
- (2007) Koletzko B - Kinder- und Jugendmedizin- Springer
- (2007) Muntau AC - Intensivkurs Pädiatrie- Elsevier
- (2006) Sitzmann F C - Duale Reihe Pädiatrie - Thieme
- (2008) Kreckmann M - Fallbuch Pädiatrie - Thieme
- (2009) Klußmann R, Nickel M - Psychosomatische Medizin und Psychotherapie - Springer
- (2009) Mentzos S - Lehrbuch der Psychodynamik - Verlag Vandenhoeck & Ruprecht/BRO
- (2009) Janssen P, Joraschky P, Tress W - Leitfaden Psychosomatische Medizin und Psychotherap - Deutscher Ärzte Verlag
- (2008) Rentrop M, Müller R, Bäuml J - Klinikleitfaden Psychiatrie und Psychotherapie - Urban & Fischer Verlag, Elsevier
- (2007) Rudolf G - Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik - Thieme
- (2007) Arolt V, Reimer C, Dilling H - Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie - Springer
- (2006) Fritzsche K, Wirsching M - Psychosomatische Medizin und Psychotherapie - Springer
- (2006) Herold G - Innere Medizin - Gerd Herold Verlag
- (2006) AWMF-Leitlinie - Essstörungen - Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
- International Academy of Eating Disorders. Position statement on equity in insurance coverage for eating disorders. www.aedweb.org/disorders.html
- (1990) Fairburn C G - Studies of the epidemiology of bulimia nervosa - Am J Psychiatry
- (2009) Crow S - Increased mortality in bulimia Nervosa and other eating disorders. Am J Psychiatry
Bulimia nervosa
Assoziierte Krankheitsbilder zu Bulimia nervosa
- Diabetes mellitus
- Metabolische Alkalose
- Schizophrenie
- Medikamentös induzierte Diabetesformen
- Anorexia nervosa
- Anorexia nervosa
- Anpassungsstörungen mit Angst
- Anpassungsstörungen mit depressiver Stimmung
- Borderline-Persönlichkeitsstörung
- Chronische arterielle Hypotonie
- Colitis ulcerosa
- Enteritiden
- Gastrointestinale Gasbeschwerden
- Gastrointestinale Infektionen
- Generalisierte Angststörung
- HIV-Infektion und AIDS
- Hyperthyreosen
- Hypothermie (Verzögertes Erwachen nach Operation)
- Insuffizienz von Hypophysenvorderlappen und Hypothalamus
- Karies
- Malassimilationssyndrom
- Maligne Tumoren des Dünndarms
- Morbus Crohn
- Nebennierenrindeninsuffizienz
- Organische affektive Störungen
- Psychosen im Kindes- und Jugendalter
- Sinusbradykardie
- Störungen des Essverhaltens
- Zwangsstörungen
- Depression
- Endokrine Störungen
- Flüssigkeitsstörungen und Elektrolytstörungen nach Operationen
- Kachexie
- Maligne Hirntumoren
- Missbrauch von Substanzen, die keine Abhängigkeit hervorrufen
- Ödeme
- Osteoporose und Osteomalazie
- Psychogene Störungen
- Schizophrene Psychosen
- Sekundäre Amenorrhö
- Zerebrale Entwicklungsstörungen
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Am häufigsten aufgerufene Krankheitsbilder in Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik
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